Jahrhundertelang haben wir die alten Griechen als kenntnisreiche und geniale Erfinder in den Bereichen Philosophie, Wissenschaft, Architektur, Kunst, Mathematik, Astronomie und Politik wahrgenommen. Was wir erst vor 10 Jahren entdeckt haben, ist, dass sie genauso versierte Ingenieure waren.
Im Herbst 1900 wurde ein mysteriöses Instrument von der Grösse einer Schuhschachtel, bestehend aus über 30 eng aneinander liegenden bronzenen Zahnrädern, vor der Küste der griechischen Insel Antikythera gefunden. Erst 2006 gelang es einem Team von Astronomen, Historikern und Mathematikern herauszufinden, wofür der Mechanismus gut war. Starke 3D-Röntgeninstrumente und hochentwickelte, computergestützte bildgebende Verfahren waren dazu nötig.
Man nimmt heute an, dass der Mechanismus von Antikythera im 2. Jahrhundert vor Christus konstruiert wurde. Die bronzenen Getriebe folgten den Positionen von Mond, Sonne und gewissen Sternen. Der Mechanismus zeigte das Datum des ägyptischen Kalenders, die griechischen Sternzeichen, den metonischen und den kallippischen Zyklus an und konnte sogar Sonnenfinsternisse vorhersagen. Auch eine kleine (aus unserer Sicht) Spielerei findet sich: eine Anzeige der Olympischen Spiele (4-Jahres-Zyklus).
Die neuen Erkenntnisse über den Mechanismus von Antikythera wurden 2006 im Magazin Nature (PDF, englischer Artikel) veröffentlicht. 2008 erschien ein Folgeartikel im Nature (PDF, englisch).
Als Direktor des Musée International d’Horlogerie (MIH) in La Chaux-de-Fonds erhielt Ludwig Oechslin bereits 2005 einen Einblick in die Arbeit der Forschenden, noch bevor diese im Nature veröffentlicht wurde.
Aus Neugierde, wie der Mechanismus wohl funktioniert haben könnte, und weil gerade kein anderes Studienobjekt zur Hand war, konstruierte Ludwig Oechslin eine Interpretation des Mechanismus basierend auf den Erkenntnissen des Nature-Artikels. 2006 stellte Oechslin zwei Ausführungen der Antikythera fertig. Zu Schulungszwecken hat die eine hinten und vorne Plexiglasplatten und wird im Museum in La Chaux-de-Fonds ausgestellt. Die zweite Ausführung, hier abgebildet (wie in diesem Blogpost von 2009), ist ganz aus Messing und steht in unseren Arbeitsräumen in Luzern.
Es gibt ein paar interessante Unterschiede zwischen Oechslins Ausführungen und dem griechischen Original:
Zum einen hat Ludwig Oechslin, um den Mechanismus funktionaler zu machen, die Zähne der Getriebe nicht als gleichseitige Dreiecke geschnitten, wie dies die griechischen Handwerker mit den damaligen Werkzeugen taten. Stattdessen fräste er sie in der Form moderner Getriebezähne. Ausserdem hat Oechslin der Antikythera einen Hauch mehr Eleganz verpasst. Während das Original mit einer herausstehenden Handkurbel bedient wurde, bewahrte Oechslin die Symmetrie: Bei seiner Ausführung kann man stattdessen mit den Fingern von beiden Seiten her in das Getriebe fassen und so das grösste der Zahnräder drehen. Oechslins Antikythera ist sowohl Kunst wie auch historische Interpretation. Beide Ausführungen wurden in seiner Werkstätte in La Chaux-de-Fonds gefertigt. Die Dimensionen sind etwas kompakter als beim griechischen Original, nämlich 33cm x 19.8cm x 4.9cm.
Auf Wunsch können wir Oechslins Antikythera in Peter Cantienis Werkstätte herstellen. Beat Weinmann steht Ihnen bei Fragen gerne zur Verfügung.